Wirtschaftliche Entwicklung
Die Eingemeindung von Ranshofen
„Nach dem Vorlagebericht der Stadt Braunau vom 14. September 1938 beantragte die Stadt Braunau die Eingemeindung der politischen Gemeinde Ranshofen. Da Ranshofen gegen die Vorlage beim Reichsministerium für Innere und Kulturelle Angelegenheiten bis 15. September keinen Einspruch erhob, wurde die Eingemeindung mit 1. Oktober 1938 rechtswirksam.
Nicht durchgeführt werden konnte die geplante Einverleibung von Teilen der Gemeinde St. Peter am Hart, Neukirchen und Burgkirchen, weil der Widerstand der dortigen Bevölkerung Erfolg hatte.
Weil es bei dieser „Berichtigung der Gemeindegrenzen“ zu einem Interessenkonflikt zwischen Braunau und Schwand kam, ging man auf folgenden Handel ein: Zur Stadt Braunau kamen außer Ranshofen die Ortschaften Thal, Osternberg, Blankenbach, Haiden, Lach, Lindach, Gasteig, Himmelindach, Maierhof, Aching und Haselbach, während die Ortschaften Au, Unter- und Ober-Rothenbuch sowie Roith der Gemeinde Schwand zugeschlagen wurden. Der Flächenumfang von Braunau betrug nun mehr als 18 km2, und die Einwohnerzahl erhöhte sich auf etwa 7.000.[1]
Standortfrage und Gründung der Aluminiumhütte Ranshofen
Warum wurde gerade Ranshofen – der 1938 eingemeindete Stadtteil der kleinen,wirtschaftlich unbedeutenden Innviertler Stadt Braunau [1] Standort für eine Aluminiumhütte dieser Größe ausgewählt? Hierfür gibt es mehrere Gründe, die damals für eine Begünstigung dieses Standortes sprachen: 1938 erfolgte der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Damit verbunden war der Beginn der Rüstungsindustrie und der Kriegsvorbereitung. Als Grundvoraussetzung für die Errichtung kann die vom Vierjahresplanbeauftragten Hermann Göring erachtete kriegswirtschaftliche Wichtigkeit gelten. Vorgabe war, ein Areal im Gebiet des unteren Inn zu finden. [2 Ein besonders wichtiger Standortfaktor für jede Industriegründung ist das Vorhandensein von großflächigen und preislich günstigen Grundstücken. [3] Diesbezüglich erschien der Großgrundbesitz Gut Ranshofen geradezu ideal zu sein, denn somit mussten keine langwierigen Verhandlungen mit vielen Bauern geführt werden. Zumal dieser Gutsbesitz auch noch in jüdischen Händen lag und daher die Möglichkeit der „Arisierung“ die günstige Erwerbung des Areals sicherte. Michael John spricht außerdem von einer bewussten Wahl von „jüdischen“ Grundstücken, denn „man wolle damit den Unterschied zwischen‚ schaffendem’ (deutschem) und ‚raffendem’ (jüdischem) Unternehmungsgeist demonstrieren“.[4]
Um Schädigungen der Nachbarkulturen bzw. vor allem von Mensch und Tier zu vermeiden, war aufgrund der entweichenden giftigen Fluordämpfe ein weit ausgedehnter Sicherungsgürtel um das Werk erforderlich. Mit der Stadt Braunau wurde ein Tauschvertrag vereinbart, damit erstens dieser Sicherheitsgürtel geschaffen werden konnte und zweitens genügend Platz für eine eventuelle Erweiterung des Werkes gesichert war. [5] Infrastrukturell war das Innviertel zwar wenig erschlossen, doch durch die günstige Lage nahe der Eisenbahnlinie München–Linz, die zudem als durchgehende Linie geführt wurde, war ein Gleisanschluss bis ins Werk ohne Schwierigkeiten zu verwirklichen. Diese Anschlussgleise gewährleisteten den Transport von Rohstoffen und anderen Hilfsgütern und begünstigten den Absatz von Fertigprodukten.[6]
Ein wesentliches Entscheidungskriterium war schließlich auch die Frage nach der Energieversorgung, da die Produktion von Aluminium enorme Strommengen benötigt. Einerseits konnte Strom aus dem Verbundnetz St. Peter am Hart bezogen werden. St. Peter war Kreuzungspunkt der Nord- Süd–(zwischen Schlesien und Italien) und Ost-West-Sammelschienen (zwischen Ruhrgebiet und Fünfkirchen in Ungarn). [7] Andererseits eröffnete der bis zu dieser Zeit in der Region um Braunau für Stromgewinnung noch ungenützte Inn die Möglichkeit der Erschließung dieser Energiequelle. Der untere Inn war in der Hinsicht noch ausbaufähig und wies zudem geringe Schwankungen in der Wasserführung zwischen Sommer-und Wintermonaten auf.[8] Auf Grund seines Grenzcharakters spielte der Ausbau auf dieser Strecke bis zum „Anschluss“ energiewirtschaftlich kaum eine Rolle. [9] Im Jahr 1938 erlangte die heimische Energiewirtschaft durch die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich Bedeutung und wurde in ein gesamtdeutsches Energiekonzept miteinbezogen. Die kurze Zeit später geplanten fünf Flusskraftwerke sollten zu gleichen Teilen Bayern und Österreich versorgen. Im Herbst 1939 wurde mit der Errichtung der Staustufe Ering und Mitte 1941 mit dem Bau der Stufe Egglfing begonnen. [10] Die Gründung dieser beiden Wasserkraftwerke unterstand der strengsten Geheimhaltung und wurde im Vierjahresplan als bevorzugter Wasserbau bezeichnet.[11] Der Baubeginn des in unmittelbarer Nähe gelegenen Kraftwerkes Braunau-Simbach erfolgte 1942, wurde aber 1943 aufgrund des knappen Materialkontingents abgebrochen. Erst 1954 konnte dieses Kraftwerk in Betrieb genommen werden. [12]
Mit dem Bau der Aluminiumhütte auf österreichischem Boden erhoffte man sich eine enge Anbindung an das Deutsche Reich, auch weil das Werk von den Rohstofflieferungen aus dem Altreich abhängig wäre. Denn das in Unterlaussa vorhandene Bauxit hätte für eine Produktion im geplanten Ausmaß nicht ausgereicht. [13] Das Mattigwerk sollte nicht Bauxit, sondern die in den Naab-Werken in Bayern aus dem ungarischen Bauxit gewonnene Tonerde, die für die Aluminiumgewinnung notwendig ist, beziehen. [14]
Schließlich taucht immer wieder das Argument auf, dass Ranshofen ausgewählt wurde, um die Geburtsstadt des „Führers“ aufzuwerten. [15] Überdies besteht immer wieder die Meinung man wollte dem „Führer“ ein Industriedenkmal setzen. [16] Im Rückstellungsverfahren nach 1945 ist ein Hinweis darauf zu finden. [17] Inwieweit dieser Aspekt für die Standortfestlegung tatsächlich eine Rolle gespielt hatte, ist wohl nicht mehr restlos zu klären.
Der Bau war neben der Errichtung anderer Großbetriebe in Österreich im sogenannten „Krauch-Plan“ vorgesehen, benannt nach dem Generalbevollmächtigten Dr. Carl Krauch, Direktor der IG Farben. [18] Grund für die Benötigung von Aluminium war der erhöhte Bedarf daran in der Flugzeugindustrie. [19] Der Auftrag, ein Werk mit der Jahreskapazität von 66.000 Tonnen [20] zu errichten, erging vom Vierjahresplanbeauftragten Hermann Göring an die Vereinigten Aluminium-Werke Berlin, die damals als der größte Aluminiumproduzent in Deutschland galten. [21] Das Vorhaben hatte auch viele Gegner in der Braunauer Bevölkerung, dennoch erhielt der Braunauer Bürgermeister bereits am 7. Jänner 1939 aus der Reichskanzlei Berlin die Verständigung, dass die Aluminiumhütte auf den Gründen des Gutes Ranshofen entstehen soll. [22] Mit den Bauarbeiten wurde Dipl. Ing. Otto Freyberg, Direktor der Aluminiumwerke Töging betraut. [23] Das Bauvorhaben selbst war mit der Dringlichkeitsstufe 1 belegt worden und das Werk wurde auf die Liste der sogenannten „W-Betriebe“ gesetzt.[24] Die Aluminiumhütte erhielt den Namen „Mattigwerk“, da es am Ausgang des Mattigtales liegt. [25] Der Baubeginn erfolgt 1939 und dauerte bis 1944. Doch bereits im Herbst 1940 wurde, trotzdem das Werk noch nicht fertig gestellt war, die Produktion mit 500 Tonnen aufgenommen.[26] Sie erreichte 1943 mit beinahe 36.000 Tonnen Rohaluminium ihren Höhepunkt, kam mit Kriegsende aber völlig zum Erliegen.[27]
[1]Ranshofen wurde 1938 in die Stadt Braunau als Stadtteil eingemeindet, dazu Kundmachungdes Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 14. September 1938,Zl. 673/3, betreffend die Vereinigung der Gemeinden Stadt Braunau a. I. mit derGemeinde Ranshofen zu einer Gemeinde mit dem Namen Stadt Braunau a. Inn, Verordnungsblattfür den Amtsbereich des Landeshauptmannes für den Gau Oberdonau,Nr. 57/1938.
[2]OÖLA, Arisierungen, Sch. 33/11, Akt Gut Ranshofen, fol. 83, Bescheinigung des Reichswirtschaftsministersvom 25. Februar 1939, Zl. II E.M. 6671/39; ebenda, LWA, Sch.63, Akt 78/6, fol. 13, 23 und 38, Reichsstatthalter in Wien, Bezirkswirtschaftsamt fürden Wehrwirtschaftsbezirk XVII, Verfügung über den Eintrag der Aluminiumhütte Ranshofenin die Liste der W-Betriebe vom 3. November 1939, 3. Februar 1940 und 24.Oktober 1940; außerdem wurde das Bauvorhaben Ranshofen in die Dringlichkeitsstufe1 und abwehrmäßig in die Gruppe A eingereiht, dazu siehe ebenda,fol. 26, Abwehrstelle im Wehrkreis XVII, Abwehroffizier im Bericht der WehrwirtschaftsstelleLinz an Abwehrstelle im Wehrkreis XVII Wien am 23. Jänner 1940;bezüglich der kriegswirtschaftlichen Ursachen für die Gründung vgl. König, Geschichteder Aluminiumindustrie, 63 – 78.
[3]König, Geschichte der Aluminiumindustrie, 82.
[4]John, Modell Oberdonau, 214.
[5]Vgl. Kapitel 4.2.6. Veränderungen im Liegenschaftsbestand von 1941 – 1945; vgl. Kapitel5.2.4.2. Stellungsnahme der Vereinigten Aluminium-Werke.
[6]Reichhartinger, Aluminium Ranshofen, 23; König, Geschichte derAluminiumindustrie, 81– 84; Blittersdorff, Standortfragen, 121.
[7]Brühwasser, Austria Metall AG, 92; Blittersdorff, Standortfragen, 110 und 121.
[8] Meixner, Wirtschaftsgeschichte, 581;König, Geschichte der Aluminiumindustrie, 86 – 95.
[9]Weigl, Oberösterreichische Elektrizitätswirtschaft, 209.
[10]Hinterbuchner, Entwicklung der oberösterreichischen Elektrizitätswirtschaft, 40f.
[11]OÖLA, LWA, Sch. 63, Akt 78/6, fol. 6, Abwehrstelle im Wehrkreis XVII,Aktenvermerk überden Besuch der Inn-Kraftwerke am 6. Oktober 1939.
[12] König, Geschichte derAluminiumindustrie, 89; Reichhartinger, Aluminium Ranshofen, 21.
[13]Reichhartinger, Aluminium Ranshofen, 24
[14]Brühwasser, Austria Metall AG, 93; Reichhartinger, Aluminium Ranshofen, 28.
[15]Sandgruber, Ökonomie und Politik, 412.
[16]König, Geschichte der Aluminiumindustrie, 81; Reichhartinger, Aluminium Ranshofen, 24.
[17]OÖLA, Linzer Gerichte, LG Linz/Sondergerichte, Sch. 594, pag. 49 f., Rk 5/47,Akt Weisweiller,Gegenäußerung der Vereinigten Aluminium-Werke AG Werk Mattig vom26. Jänner 1948; ebenda, Sch. 606, pag. 20 f., RK 175/47, Akt Jellinek, Äußerung derVAW vom 13. November 1947
[18]Meixner, Wirtschaftsgeschichte, 391.
[19]Götz, Auswirkungen auf die Austria Metall AG, 74; Reichhartinger, Aluminium Ranshofen,18.
[20]Ursprünglich wurde die Kapazität auf 32.000 Tonnen festgesetzt, jedoch im Rahmen desGöring-Plans vom 23. Juni 1941 auf 65.000 Tonnen erweitert, dazu siehe OÖLA, LWA,Sch. 63, Akt 78/6, fol. 62, Notiz über einen Besuch in Ranshofen am 29. Juli1941; dieZahl über die Kapazität des Werkes variieren teilweise sehr stark. In einem Schreibendes Reichswirtschaftsministers ist eine Jahreskapazität von 21.000 Tonnen angegeben,dazu siehe OÖLA, Arisierungen, Sch. 33/11, Akt Gut Ranshofen, fol. 83, Bescheinigungdes Reichswirtschaftsministers vom 25. Februar 1939, Zl. II E.M. 6671/39.
[21]OÖLA, Arisierungen, Sch. 33/11, Akt Gut Ranshofen, fol. 83, Bescheinigung des
Reichswirtschaftsministersvom 25. Februar 1939, Zl. II E.M. 6671/39; Brühwasser,
AustriaMetall AG, 92; Götz, Auswirkungen auf die Austria Metall AG, 75;
Reichhartinger,Aluminium Ranshofen, 17; König, Geschichte der Aluminiumindustrie,
95.
[22]König, Geschichte der Aluminiumindustrie, 95.
[23]Götz, Auswirkungen auf die Austria Metall AG, 75; Brühwasser, Austria MetallAG, 93.
[24]Auf die Liste der „W-Betriebe“ wurden jene Betriebe gesetzt, die für wehrwirtschaftlichwichtig erklärt wurden, vgl. OÖLA, LWA, Sch. 63, Akt 78/6, fol. 13, 23und 38, Reichsstatthalter in Wien, Bezirkswirtschaftsamt für den WehrwirtschaftsbezirkXVII, Verfügung über den Eintrag der Aluminiumhütte Ranshofenin die Liste der W-Betriebe vom 3. November 1939, 3. Februar 1940 und 24.Oktober 1940; bezüglich der Dringlichkeitsstufe vgl. ebenda, fol. 26,Abwehrstelle imWehrkreis XVII, Abwehroffizier im Bericht der Wehrwirtschaftsstelle Linz an AbwehrstelleimWehrkreis XVII Wien am 23. Jänner 1940.
[25]Reichhartinger, Aluminium Ranshofen, 26.
[26]Brühwasser, Austria Metall AG, 76. Delena, Entwicklungen und strukturelle Veränderungen,163.
[27]Delena, Entwicklungen und strukturelle Veränderungen, 168; Reichhartinger, AluminiumRanshofen, 42; Götz, Auswirkungen auf die Austria Metall AG, 77.
Einzelnachweise
- ↑ Max Eitzlmayr, 1985